Heiligendamm: Urlaub zwischen Ruinen
Es ist ein Ort, an dem es irgendwie noch immer so aussieht wie kurz nach der Wende. Ein Badeort an der Ostsee. Noch dazu einer der ganz berühmten mit einer Jahrhunderte alten Geschichte. Genauer gesagt der älteste Badeort Europas. Er wurde 1793 vom mecklenburgischen Herzog Friedrich Franz errichtet, der sich dafür die damals schon bestehenden südenglischen Seebäder zum Vorbild nahm. Mehrere mecklenburgische Baumeister machten draus zwischen 1793 und 1870 ein klassizistisch geprägtes Gesamtkunstwerk aus Logier-, Bade- und Gesellschaftshäusern. Dies brachte dem Ort später den Beinamen „Weiße Stadt am Meer“ ein – und seinen Ruf als schönstes Seebad Deutschlands.
Die Rede ist von Heiligendamm an der Mecklenburger Bucht.
2007 fand hier der berühmt-berüchtigte G8-Gipfel statt an dem auch der amerikanische Präsident George W. Bush teilnahm. Dafür hatte man seinerzeit kurzerhand die gesamte Gegend zum Sperrgebiet erklärt und setzte erstmals Polizei und Bundeswehr gemeinsam ein, um sich die lästigen Demonstranten vom Leib zu halten. Warum man seinerzeit die politische Weltelite ausgerechnet nach Heiligendamm einlud, ist mir allerdings ein Rätsel. Zumindest seitdem ich selbst dort war und mir ein Bild von dem angeblich so mondänen Badeort mit seiner langen, wecheselvollen Geschichte machen wollte.
Was ich dort zu sehen bekam, war allerdings mehr als ernüchternd. Ich näherte mich von Kühlungsborn her kommend entlang des Strandes dem Badeort. Als Erstes musste ich, standhaft sämtliche Verbotsschilder missachtend, auf einen langen, morschen Holzsteg klettern, der hier über einen felsigen Küstenabschnitt führt. Dann landete ich auf einem eher bescheidenen Strand, von dem noch dazu ein Teil abgezäunt war.
Hinter einem als Barrikade aufgehäuften Sandhügel sonnten sich die Gäste des zur Kempinski-Gruppe zählenden Grand Hotels Heiligendamm. Eben jenes Hotel also, das den eher zweifelhaften Ruf besitzt, schon zahlreiche Staatsoberhäupter dieser Welt beherbergt zu haben. Ich fand an diesem spätsommerlichen Nachmittag jedoch nur eine Handvoll älterer Herrschaften vor, die in ihre Tablets tippten und sich von einem bereitstehenden Kellner mit Drinks versorgen ließen.
Das Gelände rund um das Hotel war weiträumig eingezäunt, sodass sich der Weg in den Ort als gewaltiger Umweg erwies, der zunächst entlang einer Promenade führte, die sowohl zum Strand als auch zum Ort hin von einer schlichten Mauer flankiert wurde. Am Steg machte ein überdimensionales Schild darauf aufmerksam, was hier alles verboten ist und dass die „Benutzung“ des Strandes natürlich mit einer Gebühr verbunden ist.
Klar doch, wir sind schließlich in Deutschland und ich wusste mal wieder, weshalb ich hier nicht meinenSommerurlaub verbringe.
Gleich am Ortsrand war mir ein verfallenes Gebäude aufgefallen, das ich später als Alexandrinen Cottage identifizierte. Bei seinem Anblick kam mir zum ersten Mal der Gedanke, weshalb dieser Verfall? Warum hat sich über die Jahre niemand gefunden, der dieses Kleinod mit faszinierendem Meerblick wieder hergerichtet hat?
Die Strandpromenade wurde von einer Reihe weiß verputzter Villen gesäumt. Die erste davon hatte man abgerissen, um sie dann mit originalgetreuer Außenansicht wieder aufzubauen. Die anderen dokumentierten noch den jahrzehntelangen Verfall, wie man ihn kurz nach der Wende überall in der ehemaligen DDR vorfinden konnte. Auch mein weiterer Fußweg führte mich zu ähnlichen Zeugen eines Ortes, der ganz offensichtlich schon bessere Zeiten gesehen hatte. Wobei vor jeder ehemaligen Villa ein großformatiges Plakat stand, aus dem ihr Name hervorging. Die heruntergekommenen Gemäuer – eigentlich waren es ja nicht viel mehr als Ruinen – standen also offenbar unter Denkmalschutz und warten schon seit längerer Zeit auf einen Investor, der verrückt genug ist, sich unter dem Diktat irgend einer Behörde für ihre Sanierung einzusetzen.
Nein, Heiligendamm mag zwar ein geschichtsträchtiger Badeort sein. Aber ich werde dort nie und immer auch nur ein verlängertes Wochenende verbringen. Auch nicht im 5-Sterne-Hotel mit Blick aufs Meer.
Also nichts wie weg. Am Besten mit der Molli, der witzigen Schmalspurbahn, die mich rumpelnd und schnaufend durch eine durchaus schöne Landschaft wieder nach Kühlungsborn zurück brachte. Dort entdeckte ich dann auch das Travel Charme Ostseehotel. Es liegt ebenfalls direkt an der Strandpromenade und bietet ungehinderten Blick aufs Meer. Ob es irgendwelche Sterne hat, weiß ich nicht. Aber sein Restaurant verwöhnte mich mit einem wirklich empfehlenswerten Dinner und setzte damit einem Ausflugstag an der Ostsee einen durchaus erinnernswerten Schlusspunkt auf. Ein Tipp, den ich gerne weitergebe.
Stephan E. Wolf