Digitale Nomaden: Wenn Arbeit und Urlaub verwischen

Digitalisierung ist das Stichwort der Zeit. Für die Einen ist es das Schreckenswort schlechthin. Schreibtischtäter befürchten, dass der Computer schon bald genügend künstliche Intelligenz verfügt, um den Sachbearbeiter komplett zu ersetzen. Fabrikarbeiter sehen die blinkende Roboter, die immer mehr Jobs übernehmen, für die früher menschliches Geschick gefragt war. Aber es gibt auch Leute, denen beschert die neue digitale Welt weitaus mehr Vor- als Nachteile.

Für einen Programmierer zum Beispiel ist es egal, ob er seinen Job im Home Office erledigt oder in irgend einem Großraumbüro. Viele Software-Projekte entstehen heute sogar in virtuellen Teams, deren Teilnehmern überall auf der Welt sitzen. Auch ein Buchautor kann seine Gedanken an jedem Ort der Welt in die Tastatur einfließen lassen. Übersetzer arbeiten längst in virtuellen  Netzwerken und niemand denkt darüber nach, wo denn der Notebook steht, auf dem die gewünschte Sprachversion entstanden ist. Genauso, wie all die Leute, die sich mit Webcontent, Webdesign, Blogging oder Marketing-Kommunikation beschäftigen mittlerweile meist von zu Hause aus arbeiten, weil für ihre Arbeit nicht viel mehr als Kopf, Notebook und Internet erforderlich ist.

In vielen Firmen gibt es daher schon lange keine Anwesenheitspflicht mehr und feste Arbeitszeiten schon gar nicht. Die Brainworker unserer Zeit brauchen so etwas nämlich nicht. Sie wollen sich konzentrieren können und das kann man am Besten zu Hause. Im Home Office. Im bequemen Sessel. Auf der Terrasse. Wo immer man seine Ruhe hat.

Digitalisierung muss also durchaus kein Nachteil sein. Man muss sich nur die Nische im Leben aussuchen, in der man davon profitieren kann.

Wobei arbeiten im Home Office ja schon mal ein ganz großer Vorteil ist. Da muss man sich nicht jeden Morgen extra aufhübschen, um einen guten Eindruck zu machen. Man muss sich nicht zweimal am Tag mit all den Anderen durch die Rush Hour quälen (was ja auch ganz schön Zeit kostet). Man kennt keine festen Arbeitszeiten die von Anderen diktiert werden. Und man arbeitet konzentrierter und braucht daher weniger Zeit für dasselbe Einkommen. Doch die Königsdisziplin sieht noch viel besser aus.

Die wirklichen Lebenskünstler arbeiten nämlich da, wo andere Urlaub machen. Und nicht wenige davon ziehen mit dem Wohnmobil oder Caravan durch Europa, während sie so ganz nebenbei das Geld für ihren Lebensstil verdienen. Manche haben lediglich bei Muttern einen Briefkasten, weil die Leute von den Ämtern sonst ein Problem haben. Andere nutzen als Anschrift lediglich einen Domizil-Service, der ihnen das wenige noch per Post ankommende Papier per eMail nachsendet. Und dann gibt es noch diejenigen, die sich direkt den Krallen des Staates entzogen haben und gar keinen festen Wohnsitz mehr haben.

Digitalisierung heißt nämlich auch dass man heute praktisch überall zu erträglichen Kosten telefonieren und online gehen kann. Wer zum Arbeiten nur seinen Kopf und einen Notebook braucht, kann daher sein mobiles Büro überall aufschlagen. Er kann den ganzen Sommer über reisen und arbeiten in Irland. Er kann auch endlich die schon ewig geplante Nordland-Tour machen, ohne schon nach drei Wochen wieder zu Hause sein zu müssen. Er kann sich zu jeder Jahreszeit genau dort niederlassen, wo es am Schönsten ist.

Mehr Freiheit und Unabhängigkeit ist kaum vorstellbar. Und billiger leben als im eigenen Domizil auf Rädern kann man auch nicht.

Wir leben in einer Zeit, in der eine einigermaßen geräumige Wohnung in manchen Gegenden ganz schnell mal 1000 Euro Miete kostet. Im Monat. Dazu kommen dann noch Nebenkosten für Heizung, Strom und alles, was sonst noch bezahlt sein will. In der Summe muss man Jahr für Jahr allein zum Wohnen rund 15.000 Euro aufbringen. Die Preise für Wohneigentum wiederum liegen im 6-stelligen Bereich und die meisten von uns müssen sich dafür für Jahrzehnte verschulden. Das sind verdammt viele Jahre, in denen man einen ganz erhebliches Einkommen allein für das fiktive Geld braucht, das einem die Bank auf das Konto gebucht hat.

Als digitaler Nomade im Wohnmobil braucht man – natürlich – ein Wohnmobil. Aber das muss ist nicht wesentlich teuer als ein Auto der etwas gehobeneren Klasse. Einen recht guten Wohnwagen bekommt man schon für den Preis, den man im ersten Jahr an Miete einspart. Ansonsten muss man nur noch genügend Geld verdienen, um sich den Diesel für das Herumreisen, Lebensmittel, die Kosten für gelegentliche Wartungen und Reparaturen, sowie etwas Gas für Herd und Heizung leisten zu können.

Die Leute, mit denen ich geredet habe, sind der Meinung, dass die Kosten für das tägliche Leben noch nicht mal die Hälfte von dem ausmachen, was sie für ein Dasein in München, Berlin oder Hamburg aufbringen müssten. Man kann also viel verdienen und relativ üppig davon leben. Oder man kann sein Arbeitspensum herunterschrauben, um mehr Zeit für sich selbst zu haben. Besonders interessant ist dieser Lebensstil, wenn man es so eingerichtet hat, dass einem der Staat nicht die Hälfte des Einkommens aus der Tasche ziehen kann.

Zugegeben, das ist nicht Jedermanns Sache. Aber es ist ein Lebensstil für Leute, die die Freiheit lieben und sich nicht von anderen vorschreiben lassen wollen, wann, wo und wie lange sie zu arbeiten haben, wann Mittagspause ist und wie viele Tage Urlaub ihnen im Jahr zusteht. Es ist auch optimal für Leute, die keine repräsentative Wohnung oder gar ein Haus zum Leben brauchen, sondern mit 12 qm und einem Minibad zufrieden sind.

Leute, die soziale Anerkennung brauchen und ständig die Nachbarn beeindrucken müssen, werden als digitale Nomaden sicher nicht glücklich. Auch wer auf einen großen Freundeskreis wert legt und in mehreren Vereinen aktiv ist, wird darin keine erstrebenswerte Lebensweise finden. Und natürlich diejenigen unter uns, die enge familiäre Kontakte pflegen und darauf nicht verzichten wollen. Aber es muss ja nicht die alles-oder-nichts-Lösung sein. So mancher hat einfach sein Urlaubsverhalten verändert. Er fährt eben nicht mehr nur einige Wochen weg, sondern nimmt sich gleich drei Monate Zeit, ohne dass die Arbeit liegen bleibt und die Kunden abwandern.

Wir Menschen sind eben nicht alle gleich und das ist gut so.

Einen ersten Vorgeschmack davon, was es heißt, als digitaler Nomade zu leben, hatte ich bereits Anfang der 90er Jahre. Damals gab es den Begriff zwar noch gar nicht. Aber es gab Mobiltelefon und selbst über das lahme GSM-Netz konnte man im Urlaub seine eMails im Blick behalten und auch die eine oder andere Datei verschicken.

Ich kann mich noch an einen Urlaub im Süden Frankreichs erinnern. Ich war mit dem Caravan unterwegs und wir standen irgendwo im Luberon, als die geplante Urlaubszeit allmählich zu Ende ging. Ich war damals bereits selbstständig und musste bei niemand meinen Urlaub „einreichen“. Doch auch die Freiheit eines Freelancers ist relativ und seinerzeit erforderte meine Arbeit noch häufige Kundenbesuche, die ich von Frankreich aus kaum wahrnehmen konnte.

Ich entschloss mich daher, das heimische Telefon auf das Mobiltelefon umzuleiten. Wenn sich ein Kunde mit mir treffen will, kann ich ja jederzeit einen Termin für übermorgen vereinbaren, war meine Überlegung. Doch so schnell kam kein Anruf. Was kam, waren ein paar Jobs per eMail, die ich an einem Vormittag problemlos im Wohnwagen erledigen konnte. Erst zwei Wochen später stand der erste Termin fest und ich musste ankuppeln und losfahren. Das waren also zwei Wochen zusätzlicher Urlaub mit ein paar halben Tagen Computerarbeit dazwischen. Nicht wirklich ein Nomadenleben, aber immerhin ein Anfang.

Mittlerweile ist aus dem Wohnwagen ein Wohnmobil geworden. Aus GSM wurde G4  und man kann auch unterwegs problemlos online sein. Den Begriff Urlaub gibt es für mich eigentlich nicht mehr. Es gibt nur noch Zeiten, die ich zu Hause verbringe, und solche, in denen ich auf Reisen bin. Das Wann und Wo richtet sich dabei nach Lust, Laune und Wetter. Auf meine Arbeit hat das keinen Einfluss mehr. Persönliche Kundenbesuche sind die absolute Ausnahme geworden. Meine Arbeit findet eigentlich nur noch vor dem Bildschirm statt. Und es ist eigentlich unerheblich, ob das der große Monitor im Home Office oder das Display meines Dell Notebooks ist.