Spiekeroog: Abschalten, ausspannen, ein Buch schreiben

Hier ist der ideale Ort, um sich einen Winter lang einzumieten und in aller Ruhe ein Buch zu schreiben. Das waren zumindest meine spontanen Gedanken, als ich zum ersten Mal durch den winzigen Ort Spiekeroog auf der gleichnamigen Insel spazierte. Eine Insel, auf der sich alles, aber auch wirklich alles um Tourismus dreht.

Spiekeroog ist eine Insel ohne Autoverkehr. Hier ist der grüne Traum vom Fahrrad schon seit Jahrzehnten Wirklichkeit. Nicht weil die Menschen so umweltbewusst sind. Sondern eher, weil der bewohnbare Teil der Insel so klein ist, dass es ein absoluter Overkill wäre, dafür die Infrastruktur aufrecht zu erhalten, die Autos nun mal brauchen. Ob man vom Strand im Norden bis zum Hafen im Süden fahren will, oder vom äußerten Westen bis zum Nationalparkhaus im Osten, mehr als ein paar Minuten ist man auf zwei Rädern nie unterwegs. Außer vielleicht bei Sturm. Aber da dürften sowieso alle zu Hause bleiben und hoffen, dass das Meer nicht allzu zudringlich wird.

Die Infrastruktur rund um den Tourismus ist bestens eingespielt. Abgestimmt auf Ebbe und Flut pendeln mehrmals täglich zwei Fähren zwischen Neuharlingersiel und Spiekeroog hin und her. Es sind reine Personenfähren, denn das Auto muss man auf dem Festland lassen und die kurze Strecke vom Inselhafen bis in den Ortskern ist nicht viel mehr als ein kleiner Spaziergang. Sein Gepäck stellt man einfach in einen der bereitstehenden Container, merkt sich dessen Nummer und wenige Minuten nach der Überfahrt hält man es wieder in den Händen. Es gibt aber auch einen Gepäckservice, der die Koffer schnell und zuverlässig direkt ins Hotel oder die Ferienwohnung liefert. 

Überhaupt scheint die ganze Insel ein einziger Tourismusbetrieb zu sein. Wenn es nicht eine Schule gäbe, könnte man glauben, dass hier überhaupt keine Einheimischen leben. Aber es deutet vieles darauf hin, dass all diejenigen, die hier ihren Alltag verbringen, auf irgend eine Weise von dem ständigen Touristenstrom leben, der pausenlos zwischen Insel und Festland hin und her pendelt. Während Spiekeroog nämlich vor hundert Jahren noch eine wenig bekannte Sommerfrische für gut betuchte Gäste war, gibt es mittlerweile kaum eine Jahreszeit, in der die Insel kein Anziehungspunkt für Naturliebhaber ist, die einfach nur ein paar Tage oder Wochen zwischen Watt, Strand und Dünen verbringen wollen. 

Womit auch schon die Haupteigenschaft Spiekeroogs angesprochen wäre, die man als Stärke und Schwäche zugleich bezeichnen kann. Wer hier herkommt, sucht keine Erlebnisse. Hier gibt es weder Animation noch nennenswerte Attraktionen zur Bespaßung der Besucher. Eine Fahrt mit der historischen Pferde-Eisenbahn ist schon die bedeutendste Attraktion, die zumindest im Sommer für etwas Abwechslung sorgt. Ansonsten hat Spiekeroog nicht viel mehr zu bieten, als Natur zum Durchlaufen und Anschauen. Es gibt Wattwanderungen, die man allerdings tunlichst nur mit einem kundigen Führer unternehmen sollte. Es gibt vorbildlich gepflegte Wege auf den Deichen und durch die geschützte Dünenlandschaft. Es gibt das Meer, das sich immer wieder für Stunden bis zum Horizont zurückzieht, um dann pünktlich nach dem Gezeitenkalender wieder zurückzukehren. 

Mit anderen Worten: Eigentlich genügt eine Woche und man hat alles gesehen und ist so ziemlich jeden Spazierweg gelaufen, den es auf Spiekeroog gibt. Zumindest ging es mir so, als ich im Oktober 2021 genau sieben Tage auf Spiekeroog verbrachte, um einfach mal in eine andere Umgebung einzutauchen, Abstand vom Alltag zu gewinnen und neue Gedanken zu denken. In dieser Zeit hatte ich auch sämtliche Restaurants besucht, die es in dem kleinen Inselort gibt und dabei ernüchtert festgestellt, dass die Küche eigentlich überall dieselbe ist und Gourmets hier wohl eher nicht auf ihre Kosten kommen. 

Leider hatte ich ausgerechnet die Zeit der Herbstferien hier im Norden erwischt und es war eine echte Herausforderung, jeden Abend irgendwo einen Tisch zu bekommen, um den Abend bei einem guten Jever und bodenständiger Hausmannskost zu beenden. Leider hatte der politische Übereifer rund um das Stichwort Corona die Situation zusätzlich verschärft und es mussten viele Tische leer bleiben, weil das Ordnungsamt es so wollte. Bemerkenswert war immerhin, dass zwar für ein Abendessen im Innenbereich ein Impfpass oder zumindest ein aktueller Schnelltest gefordert wurde, aber nicht ein einziges Restaurant seine Gäste tatsächlich danach fragte. So viel stummen Widerstand hätte ich meinen norddeutschen Mitmenschen eigentlich gar nicht zugetraut.

Ich hatte mit meiner Begleiterin ein Zimmer in der Künstlerherberge gefunden, die ich hiermit ausdrücklich empfehlen möchte. Das schmucke Hotel liegt am Rande des Ortskerns von Spiekeroog und wird von einem kleinen Team freundlich und zuvorkommend gemanagt. Das Frühstück scheint inselweit bekannt zu sein, denn jeden Morgen fanden sich Gäste aus den umliegenden Ferienwohnungen ein, um sich am üppigen Buffet zu bedienen und den ausgesprochen guten Kaffee zu genießen. Der ist übrigens echte Handarbeit und kommt eigens aus einer kleinen Rösterei auf dem Festland. 

Wenn ich wieder einmal nach Spiekeroog komme, dann vermutlich nicht mit dem großen Touristenstrom, sondern zu einer Zeit, in der die Insulaner weitgehend unter sich sind und das norddeutsche Küstenwetter entweder wasserdichte Kleidung verlangt oder zum gemütlichen Aufenthalt am Kaminofen hinter urig-originalen Butzenscheiben animiert. Dann schreibe ich vielleicht tatsächlich mal ein Buch und halte alles fest, was mir im Leben schon so durch den Kopf gegangen ist. 

Stephan E. Wolf