Elsass: Frankreich mit deutschen Untertönen



Über viele Jahrzehnte hinweg war das Elsass ein ständiger Zankapfel zwischen Deutschen und Franzosen. Mal wurden die Kinder in der Schule gezwungen, französisch zu sprechen, mal war Deutsch angesagt. Heute ist das Elsass eine Region, in der man es versteht, französische Lebensart mit deutschen Untertönen zu pflegen.

Es war Mai und ich war mit dem Wohnmobil unterwegs. Der erste Halt war Camping du Fleckenstein gleich unterhalb der gleichnamigen Burg in den Nordvogesen. Der Besitzer war sehr gesprächig und erzählte mir vieles über das geschichtliche Wechselspiel der Region. Und von den Elsässern, die erst Deutsche, dann Franzoscehn und dann wieder Deutsche waren, bis es ihnen egal war. „Das hier ist nicht Frankreich“, meinte er: „Das ist einfach das Elsass.“

Zur französischen Lebensart gehörte, dass es für einen Restaurantbesuch zu spät war. Dafür hat man in Frankreich nämlich um 8 Uhr an seinem Tisch zu sitzen. Später geht nichts mehr. Nur oben auf dem Berg, im Gimbelhof direkt neben der Burg, sah man das nicht so eng und die resolute Dame am Tresen machte für einen hungrigen Camper eine Ausnahme.
Auf der Speisekarte stand zum Beispiel Baeckeoffe, der typisch elsässischen Eintopf aus Fleisch, Kartoffeln und Lauch. Ich landete an einem der langen Tische, an denen sich die Einheimischen bereits mit dem Dessert beschäftigten und dabei lebhaft in einer Sprache miteinander redeten, die mir manchmal französisch und manchmal irgendwie deutsch erschien. Nein so richtige Franzosen waren das nicht.

Das merkte ich auch am nächsten Morgen in der Boulangerie, wo mich sich die junge Verkäuferin geduldig meine im holprigen Französisch vorgebrachte Bestellung anhört, um mir dann ganz selbstverständlich in Deutsch zu antworten.
Geschichte zum Anfassen

Auch die Namen der unzähligen Weindörfer, die das Elsass prägen, klingen unverkennbar deutsch. Nur den Städtenamen hatte man einen französischen Akzent verpasst und so heißt das ehemalige Weisenburg heute Wissembourg und aus Straßburg wurde Strasbourg.

Geschichte zum Anfassen

Ich habe den größeren Teil meines Lebens in der Nähe von Karlsruhe verbracht und kannte das Elsass bereits für seine gute Küche. Meine kleine Wohnmobil-Reise weckte daher auch alte Erinnerungen. Zum Beispiel beim Besuch des netten Restaurants im malerischen Bruch-Viertel von Wissemburg mit seinen hübsch herausgeputzten Fachwerkhäuschen. Hier sitzt man wie auf einer Brücke direkt über einem kleinen Fluss und genießt die wohl besten Flammkuchen der Welt. Die sind übrigens auch eine elsässer Spezialität, auch wenn sie mittlerweile in ganz Frankreich zu haben sind.

Wenn man schon im Norden des Elsass ist, muss man natürlich auch die legendäre Maginot-Linie besuchen. Diese unterirdische Befestigungsanlage ist ein lebendiges Beispiel der jüngeren Geschichte und demonstriert recht eindrucksvoll die Idiotie des Krieges. Der beste Zugang ist Fort de Schoenenbourg. Doch man sollte schon gut zu Fuß sein, um zumindest einen Teil der rund 280 Kilometer langen Gänge zu erkunden. Hier, in gut 30 Metern tiefe hatten die Franzosen zwischen 1930 und 1940 eine komplette unterirdische Kaserne gebaut, um sich vor den bösen Deutschen zu schützen. Nach dem deutschen Einfall in Frankreich wurde sie zum Westwall und sollte die Alliierten abhalten. Doch so richtig gekämpft wurde hier eigentlich nie.

Malerische Städte

Wer die original elsässische Küche kennenlernen will, muss natürlich auch einen Tag in Strasbourg verbringen. In diversen Foren hatte man mir empfohlen, das Wohnmobil unbedingt auf dem Campingplatz im benachbarten Kehl abzustellen, da die Straßen von Strasbourg alles andere als sicher seien. Besonders den in den Banlieus am Stadtrand lebenden Schwarzafrikanern wird nachgesagt, die Straßen unsicher zu machen. Ob das stimmt, kann ich nicht beurteilen, aber der vorsichtige Abstecher über den Rhein führte dazu, dass ich eine durchaus erwähnenswerte Besonderheit der Region kennenlernte.

Der Campingplatz Kehl liegt direkt am Oberrhein-Radweg – und an der architektonisch interessanten Fußgängerbrücke, über die man mit dem Rad innerhalb von wenigen Minuten das Münster und damit die sehenswerte Altstadt von Strasbourg erreicht. Auf dem Platz vor dem Dom tummeln sich natürlich Touristen aus aller Welt. Doch schon nach ein paar Schritten ist man in einer der zahlreichen Seitenstraßen und hat das Gefühl, mitten in Frankreich zu sein. Nur die zweisprachigen Straßenschilder weisen beständig darauf hin, dass jede heutige Rue früher einmal eine Straße oder Gasse war. Petite France, das einstige Gerberviertel ist ein Muss für jeden Strasbourg-Besucher. Hier kann man herrlich schlendern, gucken und direkt am Wasser speisen.

Was für Strasbourg Petite France ist, nennt sich im nicht allzu weit entfernte Colmar Petite Venice und ist ebenfalls einen Rundgang wert. Hier stolperte ich über einen kleine Wurstladen, direkt am Flüsschen Lauch, wo ich in einer spontanen Genießerlaune gleich mal ein halbes Dutzend luftgetrocknete Saucisson erwarb. Mehr als ein frisches Baquette und eine guten Vin Rouge brauchte ich an diesem Abend nicht zum Glücklichsein.

Ich war übrigens ziemlich lange durch Colmar geirrt, um einen brauchbaren Parkplatz für mein Mobil zu finden. Am Ende landete ich in der Turenne – direkt vor einem kleinen Weinhandel. Dort gab es natürlich die typisch Elsässer Weine vom Edelzwicker über den Gewürztraminer bis zum Muskat. Aber es gab auch etwas ganz Außergewöhnliches - original Elsässer Single Malt. Der Besitzer des Ladens war sehr gesprächig und bot mir bereitwillig ein kleines Whiskey Tasting an. Am Ende konnte ich der Versuchung nicht widerstehen und verließ ich mit zwei Flaschen des heimischen Whiskys den Laden. Der eine verdankte seine besondere Geschmacksnote der Tatsache, dass er mehrere Jahre in einem Riesling-Fass zugebracht hatte. Der andere hatte in einem alten Pinot-Noir-Fass seine geschmackliche Reife erlangt. Leider hatten die beiden Fläschchen kein allzu langes Leben in der Gesellschaft meiner heimischen Sammlung an irischen und schottischen Single Malts.

In den südlichen Vogesen lohnt sich eine Fahrt über die Route de Cretes, die alte Vogesen-Hochstraße, die vor Jahrzehnten für militärische Zwecke gebaut worden war. Nicht weit vom Grande Ballon liegt das Munster-Tal. Hier sollte man unbedingt die Maison de Fromage besuchen und die Entstehung des berühmten Munster-Käses kennenlernen. Man kann ich auch gleich mitnehmen – verpackt in eine geruchsfeste Folie. Ein echter Munster hat eben einen sehr ausgeprägten Geruch, den man nicht tagelang im Wohnmobil haben möchte.

Die Störche sind wieder da

Das Centre de Reintroduction zwischen Ribeauville und Riquewihr hätte ich fast übersehen, wenn mir nicht die zahlreichen Masten aufgefallen wären, die da in einem weitläufigen Parkgelände standen. Jeder davon wurde von einem großen Storchennest gekrönt und in jedem Nest konnte man mindestens einen Storch erkennen. Hier war Mitte Mai ordentlich etwas los, denn die eindrucksvollen Vögel waren pausenlos damit beschäftigt, die hungrigen Schnäbel der heranwachsenden Nachfolgegeneration zu füttern.

Noch mehr davon gibt es im nahe gelegenen Ecomusee d‘Alsace. Hier wurden Dutzend von alten Häusern aus dem ganzen Elsass zusammengetragen und originalgetreu wieder aufgebaut. Und wie es in früheren Zeiten so üblich war, thronte auf jedem Hausgiebel ein Nest und ein allgegenwärtiges Klappern machte deutlich, dass Adebar wieder im Kommen ist.

Unter den unzähligen Weindörfern des Elsass, die sich im oberen Rheintal und den Hängen der Vogesen aneinander reihen, ist Kayersberg vermutlich das Interessanteste. Der malerische hergerichtete Ort ist der Einstig in die Route des Vins d‘Alsace, wo die Trauben heranwachsen, die im Herbst zu den typischen Elsässer Weißweinen verarbeitet werden.

Ich konnte natürlich nicht widerstehen, von jeder Sorte ein paar Flaschen einzuladen, bis alle Staumöglichkeiten im Reisemobil erschöpft waren und das Fahrzeug satt wie Blei auf der Straße lag. Aber einen Muscat, eine Gewürztraminer oder gar einen Cremant bekommt man in meiner norddeutschen Wahlheimat eben nur selten zu Gesicht.