Irland: Wandern auf Dursey Island

Wanderwege, wie man sie in Deutschland in jedem Wald kennt, sind in Irland alles andere als selbstverständlich. Das liegt vielleicht daran, dass die ganze Insel mit einem Gitter an Naturstein-Mauern durchzogen ist, die fein säuberlich markieren, wo das Land des einen Bauern aufhört und das des anderen anfängt. Auch legen die Iren offensichtlich großen Wert darauf, dass sich kein Fremder auf ihren Grundbesitz wagt, was an unzähligen „Private – no trespassing“ Schildern zu erkennen ist.

Dennoch gibt es einen Wanderführer, der eine ganze Anzahl durchaus interessanter Wanderwege in Irland beschreibt. Viele davon wurden in jahrelanger, mühsamer Kleinarbeit mit den jeweiligen Landbesitzern ausgehandelt, die sich dazu bereit erklärt haben, wildfremde Leute über ihren Grund und Boden laufen zu lassen. Allerdings ist da wohl auch so mancher Sturkopf darunter, der dazu eben nicht bereit war und daher wanderfreudige Iren und Touristen zu einen beträchtlichen Umweg zwingt. Doch die Situation für Wanderer auf zwei Beinen ist immer noch besser als die der Radwanderer. Denen bleibt nämlich meist nichts anderes übrig, als mit allen Autos, Transportern und Lastzügen auf der Straße zu fahren. Spezielle Radwege sind eben in Irland weitgehend unbekannt und durch die Zerstückelung der Landschaft sucht man auch ein Netz an brauchbaren Feldwegen vergebens.

Mit dem Wohnmobil durch Irland zu fahren ist zwar hoch interessant, aber manchmal auch recht anstrengend. Nicht nur, weil die Straßen äußerst eng sind, sobald man sich abseits der großen Verkehrsrouten bewegt. Sondern auch, weil anscheinend niemand daran gedacht hat, dem Autofahrer von Zeit zu Zeit auch Gelegenheit zu einer Pause zu geben. Haltebuchten sind rar. Parkplätze oder gar Rastplätze am Straßenrand haben Seltenheitwert und so manchen atemberaubenden Blick kann man leider nicht im Bild festhalten, weil ein Anhalten an genau dieser Stelle einfach nicht möglich, ohne massiv den Verkehr zu behindern.

Bei unserem Irland-Aufenthalt 2017 haben wir daher versucht, jede Möglichkeit zu nutzen, um das Fahrzeug zu verlassen und das Land ein Stück zu Fuß zu erkunden. Die Irland-Wanderführer bieten dafür unzählige Vorschläge – meist in Form von Rundwanderungen, die man in ein paar Stunden oder zumindest innerhalb eines Tages hinter sich bringen kann. Eigentlich ganz interessant für Wohnmobil- und Caravan-Reisende, die in zwei, drei Wochen möglichst viel von der grünen Insel kennenlernen wollen und sich daher nicht allzu lange an einem Ort aufhalten können.

Ein besonders interessanter Tagesausflug zu Fuß ist ganz sicher die Insel Dursey Island. Sie befindet sich an der Spitze der Halbinsel Beara im County Cork am Südwestzipfel der Insel. Hier – irgendwie am Ende der Welt – lebten früher durchaus zahlreiche Menschen, die sich vor allem von der Schafzucht ernährten. Mittlerweile ist es jedoch nur noch ein Dutzend, für die es sich nicht mehr lohnt, einen Fährdienst zum Festland aufrecht zu erhalten. Einziges Transportmittel von und zur Insel ist daher der Dursey Island Cable Car. Eine Seilbahn also, die täglich in Betrieb ist und neben Schafen auch Menschen transportieren kann.

Startpunkt der Seilbahn ist ein kleiner Parkplatz am Lamb‘s Head, zu dem man über eine wirklich schmale Straße von Cahermore her kommt, die sich über scheinbar unendliche Schleifen durch die karge Landschaft windet. Für unseren Kastenwagen war das gerade noch OK und ich kam nur ins Schwitzen, wenn ich in einiger Entfernung ein anderes Wohnmobil auf mich zu fahren sah. Wie hier zwei ausgewachsene Wohnmobile aneinander vorbei kommen sollen, ist mir allerdings schleierhaft. Aber es scheint zu gehen, denn als wir abends an dem Parkplatz ankamen, standen dort bereits zwei Nasenbären, die es wohl geschafft hatten.

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Wir hatten es so eingerichtet, dass wir Lamb‘s Head am Abend erreichen würden, denn wir wollten uns genügend Zeit nehmen, um die im Reiseführer gepriesene Wanderung auf Dursey Island zu machen.

Eine Nacht an Irlands Küste kann recht stürmisch sein, hatten wir festgestellt, als wir uns am nächsten Morgen zur Seilbahn aufmachten. Die ist nicht viel mehr als eine einfache Holzkiste, die den abenteuerlichen Weg über eine schmale Mehrenge nimmt, die die Insel vom Festland trennt. Es ist schon ein eigenartiges Gefühl, hier oben im Wind zu schaukeln, während tief unten die Meereswogen gegen die Felsen prallen. Aber letztendlich macht man ja auch Urlaub, um etwas zu erleben.

Leider hatten wir einen Morgen erwischt, an dem dicke Nebelschwaden den Blick trübten. Doch wir hatten gelesen, dass man sich hier eigentlich nicht verirren kann, und machten uns auf den 12 km langen Wanderweg. Der Weg ist das, was man hier auf der Insel wohl eine Straße nennt und es gab tatsächlich ein paar Autos, mit denen sich die Handvoll Einwohner fortbewegten. Er führt vorbei an verlassenen Gehöften, deren Zustand keinen Zweifel daran ließ, dass sie schon vor langer Zeit von ihren Bewohnern verlassen worden waren.

Nach gut einem Drittel der Strecke hörte dann der Weg auf und es gab nur noch einen mehr oder weniger erkennbaren Trampelpfad. Immerhin versicherten uns hin und wieder ein paar simple Schilder, dass wir noch auf dem richtigen Weg waren. Der Nebel verzog sich währenddessen allmählich und wurde von einem leichten Nieselregen abgelöst. Regen und Irland gehören nun mal zusammen, das weiß man ja, und wir waren natürlich mit der passenden Kleidung im Rucksack losgezogen.

Ganz am Ende der Insel gibt es einen verfallenen Turm, der auf einem kleinen Plateau oberhalb eines steil abfallenden Felsens befindet. Unten tobte deutlich hörbar das Meer, aber wir konnten es nur schemenhaft ausmachen. Dafür trafen wir hier am Ende der Welt die junge Frau wieder, die uns schon zu Anfang überholt hatte. Sie war mit einem gewaltigen Rucksack unterwegs und erzählte uns, dass sie alles dabei hätte und die letzte Nacht auf der Insel verbracht hatte.

Auf dem Rückweg haben wir uns zunächst verirrt, da wir vermutlich bei der schlechten Sicht ein Schild übersehen hatten. Aber da die Insel sehr schmal ist, kann man sich eigentlich nicht wirklich verlaufen. Irgendwann kommt immer eine steile Felswand und man weiß, hier ist das Meer.

Etwa auf dem halben Rückweg schien die Sonne wieder zu ihrer alten Kraft gefunden zu haben und die Wolkenschleier lösten sich allmählich in Nichts auf. Die Insel verlor damit viel von ihrem mystisch geheimnisvollen Eindruck, aber dafür öffnete sich der Horizont und erlaubte geradezu umwerfende Ausblicke auf die schroffe Küstenlinie der Halbinsel Baera.

Irgendwann am Nachmittag erreichten wir wieder die Seilbahn, drückten auf den Klingelknopf, um dem Operator am anderen Ende zu signalisieren, dass wir übergesetzt zu werden wünschten und genossen dieses Mal einen ungetrübten Blick auf das tosende Meer aus schwindelerregender Höhe.

Das Schild, nach dem „overnighting“ auf dem kleinen Parkplatz am Cable Car „strictly prohibited“ ist, fiel uns erst auf, als wir wieder zum Wohnmobil zurückkehrten. Aber das wäre nicht so tragisch, meinte der Cable Car Operator. Es gäbe hier niemand, der uns hätte vertreiben können. Das Schild wäre nur da, weil es einige Wohnmobilisten gegeben hätte, die einfach ihren Müll zurückgelassen hätten. Es sind eben immer nur einige Idioten, die das Leben für all die anderen unnötig schwer machen.