Tourismus: Zu viele Menschen sind einfach nervig

Bei vielen Menschen frage ich mich, weshalb sie eigentlich verreisen. Sie fahren ans Meer, mieten sich eine Ferienwohnung und machen zwei Wochen lang genau dasselbe, was sie zu Hause auch tun würden: Einkaufen, kochen und essen. Zwischendurch zeigen sie sich und flanieren die Strandpromenade entlang. Oder sie liegen stundenlang in der Sonne, um die Bräune zu ergattern, die man im Büro nur schlecht bekommt. Am Ende war es dann ein toller Urlaub und man erzählt stolz davon, an der See gewesen zu sein.

Ich wohne da, wo andere Urlaub machen. Direkt an der Ostsee und nur einen Steinwurf vom Meer entfernt. Ich kenne sie also, die Omis mit Schwabbelbauch, die gerade noch an ihrem Eis geleckt haben und zügig auf das kleine Café in der Vorderreihe zusteuern, wo es gestern so guten Kuchen gab. Oder die jungen Eltern mit zwei Kindern und einer gefühlten Tonne an Plastik-Spielgerät um sich herum, die stumm am Strand sitzen und eigentlich nicht richtig wissen, was sie mit all der Freizeit anfangen sollen. Nicht zu vergessen die gelangweilten Teenies, die im Schatten von Mami und Papi unterwegs sind, ohne auch nur einmal ihre Augen vom Display des Handys abzuwenden.

Geradezu unternehmungslustig sind dagegen die rüstigen Rentner. Meist haben sie sich soeben ein Mietfahrrad geholt und sind jetzt auf dem Weg ins große Abenteuer Ostseeküste. Natürlich ist es die E-Variante mit ordentlich Schub bis 25 km/h. Weiter hinten im Wald soll es schließlich richtig hügelig werden und man will ja nicht außer Puste kommen. Die rechthaberische Variante dieser Spezies kann richtig ungehalten werden, wenn die lästigen Spaziergänger trotz Klingelzeichen nicht erschreckt zur Seite springen.

Überhaupt Fahrrad, das ist ja hier an der Küste das Urlaubsthema. Kein Urlaubsprospekt, der nicht eine fröhlich radelnde Familie zeigt, die sich mit Kind und Kegel in der puren Natur erholt. Dumm nur, dass es hier kaum durchgehende Radwege gibt und der Familienausflug ganz schnell auf der Straße fortgesetzt werden muss, sobald man die erschlossenen Touristen-Reservate verlassen hat. Und die konzentrieren sich meist auf ein schmales Band entlang der Küste.

Ich selbst fahre ja auch gerne Fahrrad. Seit Neuestem ein Rennrad oder besser gesagt die leicht geländgängige Variante davon, die man Gravelbike nennt. Bei so manchem Radweg hier in der Region ist es nämlich besser, die Reifen haben genügend Grip. Und man sollte tunlichst auf Schlaglöcher achten und den Lenker fest im Griff behalten.

Mittlerweile gibt es drei, vier Runden, die ich immer wieder fahre und manchmal auch kombiniere, damit es nicht zu langweilig wird. Die größte führt rund um einen kleinen Binnensee und dauert normalerweise zwei Stunden mit Pause. Das ist für eine abendliche Fitnessrunde genau richtig, vor allem, weil es fast durchgängig über Radewege geht.

Zur Tourie-Zeit erfahren jedoch sportliche Ambitionen häufig einen zeitraubenden Dämpfer. Die Radwege sind zwar normalerweise breit genug, damit sich zwei entgegenkommende Radler gefahrlos begegnen können. Auch Überholen sollte eigentlich kein Problem sein. Allerdings nicht, wenn man einen gemächlichen Urlaubsradler vor sich hat, der nur einmal im Jahr im Sattel sitzt und unübersehbar auf Genießerurlaub ist. Mein dezentes Klingeln überhören diese Leute geflissentlich. Wie kann man es auch so eilig haben. Und wenn man mutig herunterschaltet, um mit einem möglichst schnellen Sprint an ihnen vorbeizuschießen, erntet man nicht selten missmutige Bemerkungen.

Getoppt werden solche Urlaubsradler nur von den dazu gehörenden Gattinnen. Die fahren nicht nur in einer Geschwindigkeit, bei der man sich fragt, wie sie es überhaupt schaffen, die Balance zu halten. Sie fahren auch grundsätzlich im falschen Gang. Entsprechend mühsam kommen sie voran und man muss aufpassen, dass sie nicht einfach mitten auf dem Weg stehen bleiben und schlapp machen. So ein Rennrad hat zwar richtig gute Scheibenbremsen, aber die Trägheit des eigenen Körpers sollte man nicht unterschätzen.

Aber zurück zu den Strandtouries. Die richtigen Profis unter ihnen mieten sich ja gleich am Anfang des Urlaubs einen Strandkorb. Der steht meist so, dass der Wind im Rücken ist und man von der Natur nicht allzu viel Negatives mitbekommt. Strandkorbbesitzer wollen nämlich nicht wirklich Strand, Sonne und Wasser genießen. Sie wollen schlicht und einfach ihre Ruhe haben. Und dafür sind die in Reih und Glied aufgestellten Polsterliegen genau richtig. Vor allem, seit es hier am Strand auch WLAN gibt und man auf das vertraute Tippen und Wischen nicht mehr verzichten muss. Schließlich sind es mehrere Stunden bis zum Abendessen und die wollen mit irgend etwas verbracht werden.

Am Abend freut man sich dann auf das traditionelle Fischmenü. Schließlich ist man an der Küste und nur hier schmeckt Fisch wirklich wie er schmecken soll. Wer den Geheimtipp kennt, kommt ganz früh morgens zum Fischkutter und holt sich den Fang frisch aus dem Netz. Zwar ist nicht gewährleistet, dass der persönliche Lieblingsfisch an diesem Morgen ins Netz gegangen ist. Aber der Fisch ist immer noch so frisch, wie er eben sein kann. Wer zu den Wissenden zählen will, nimmt anschließend den Umweg über die Vorderreihe. Da fahren nämlich zur selben Zeit, die Tiefkühllaster vor und liefern das, was auf den Speisekarten der Restaurants später als frischer Ostseefisch angepriesen wird.

Nüchtern betrachtet ist die Küche hier an der Flaniermeile eher unterdurchschnittlich und eigentlich recht primitiv. Ich habe den leisen Verdacht, dass in den Küchen gar keine Köche arbeiten, sondern lediglich angelernte Hilfskräfte, die es gerade mal schaffen, einen Fisch totzubraten und die bereits fertig angelieferten Bratkartoffeln dazu aufzuwärmen. Ich selbst kenne hier am Ort nur zwei Restaurants, in denen ich gelegentlich zu sehen bin, aber deren Preisniveau wird wohl die meisten auf Schnäppchen getrimmten Touries eher abschrecken.

Die legen daher lieber bei Gosch an. Die Kette gibt es mittlerweile an nahezu jedem Ost an Nord- und Ostsee und ich habe noch nie eines dieser Schnellrestaurants leer gesehen. Viele halten Gosch nämlich für ein echtes kulinarisches Highlight und schwören geradezu darauf, sich ihr Essen selbst am Tresen abzuholen und auf grob gezimmerten Holztischen zu verzehren. Das hat einfach etwas Ursprüngliches, Ehrliches, Maritimes an sich, wie es der küstenferne Landbewohner zu schätzen weiß.

Gosch hat übrigens sein Franchise-Imperium auf einer ganz einfachen Erkenntnis aufgebaut. Seine erste Fischbude auf Sylt erfreute sich vor allem unter der Hamburger Schickeria großer Beliebtheit. Dort konnte man nämlich auf einfachen Holzbänken direkt am Meer sitzen, einen standesgemäßen Champagner trinken und dazu Shrimps knabbern. Man erzählt sich sogar, er hätte ursprünglich gar keine Konzession gehabt, um Alkohol auszuschenken. Das hätte er aber mit einer findigen Idee umgangen: Champagner mit Krabben, das ist doch – na klar, eine Fischsuppe. Ob es stimmt, weiß man nicht so genau. Aber einfache Fischgerichte anzubieten, die zwar leicht überteuert sind, dafür aber immer mit verlässlicher Qualität auf dem Teller landen, muss Gosch schon von Anfang an praktiziert haben. Es denkt ja keiner daran, dass solche Mengen an Fisch, dazu immer das komplette Angebot, nur aus der Tiefkühltruhe kommen können.

Die Ostsee erfreut sich mittlerweile so großer Beliebtheit, dass die Seebäder an der Küste allmählich an ihre Grenzen stoßen. Der Supersommer 2019 wurde ja im Sinne der offiziellen  Verschwörungstheorie als Vorbote der großen Klimakatastrophe bezeichnet. In Kiel wurde daher auch gleich der Klimanotstand ausgerufen (was immer das sein soll). An meinem Wohnort kam es eher zum Parknotstand. Es gab einfach zu viele Urlauber, die bei 30 Grad und mehr in die naheliegende Ostsee wollten.

Darunter waren auch mehr Wohnmobile, als man hier jemals gesehen hat. Die beiden Standplätze waren bis zum letzten Platz belegt und auch der Campingplatz machte ein selten gutes Geschäft. Die Urlaubswelt ist eben vielfältig geworden. Die Einen nehmen sich eine Ferienwohnung und verlegen das ganz normale Leben an einen Ort, wo Meer und maritimes Leben locken. Die Anderen suchen im Urlaub Entspannung total und buchen ein Hotelzimmer mit Blick auf die Wellen. Und dann gibt es eben noch die zunehmende Schar der Urlaubsnomaden, die lieber in ihrem eigenen Hotelzimmer auf Reisen gehen und jeden Tag aufs Neue entscheiden, ob sie sich lieber selbst etwas zu Essen machen oder das gastronomische Angebot vor Ort nutzen.

Heute Morgen war es jedenfalls mal wieder rappelvoll in meinem Supermarkt an der Ecke. An einem Montagmorgen ist das schon bemerkenswert und die Einheimischen verdrehen schon mal die Augen, wenn sie es mit ganzen Menschentrauben im Schlenderschritt zu tun bekommen, die offensichtlich alle Zeit auf der Welt haben.

Fremde Menschen können ja ganz interessant sein. Wenn es zu viele werden, kann man allerdings schon mal Aversionen entwickeln. Doch es sind ja nur wenige Wochen und der Spuk ist wieder vorbei. Dann gehört der Radweg wieder mir und den anderen Feierabendradlern. Man ist unter sich und grüßt sich, wenn man sich begegnet. Und man kann flott die Strandpromenade entlang brettern, ohne Slalom um gemächlich spazierenden Muttis und Omis fahren zu müssen.